Disclosure

Exzerpt aus dem Vorwort im Katalog Dimensions of the Surface:

Dimensionen: Assoziationen zum Werk von Nita Tandon

[…] Als ich in Tandons Atelier saß, um sie über ihre Arbeit zu befragen, saß ich einer ihrer Arbeiten gegenüber: einer in die Wand eingebauten Türe. Wenn nun das hier vorliegende, das Werk von Nita Tandon dokumentierende Buch Dimensions of the Surface (Dimensionen der Oberfläche) heißt, so entspricht die Türe in der Wand diesem Titel. Diese Türe besteht nur aus ihrer eigenen Oberfläche, man kann sie nicht öffnen und daher auch nicht schließen. Als Kunstwerk ist sie ostentativ den üblichen Verwertungen entzogen, und das gilt leider auch in Bezug auf die hermeneutischen Verwertungen: Die Türe in der Wand lädt weder dazu ein, eine Meinung über sie zu sagen, noch verhindert sie jeglichen Interpretationsaufwand.

Seit meinem Philosophiestudium habe ich aber einen hermeneutischen Tick, einen leichten Zwang zur Auslegung des ohnedies Sichtbaren, wenn sich die Gelegenheit dafür bietet. Die Türe oder zum Beispiel auch die Brücke, das sind doch Metaphern – und keine kleinen, sondern solche von größten Dimensionen: eintreten können, ausgeschlossen sein … Die Türen stehen einem offen, heißt das Idiom. Aber manchmal bleibt eine Türe auch geschlossen.

Franz Kafka war Jurist, und als Dichter ist er wohl der berühmteste Gegner des Rechtsoptimismus, der einem weismachen will, dass das Recht allen offensteht: „Vor dem Gesetz“, heißt es in einer Parabel Kafkas, „steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. ,Es ist möglich‘, sagt der Türhüter, ‚jetzt aber nicht.‘“ Mit dieser Zeitangabe, die den Eintritt in Aussicht stellt, ihn in die Zukunft verlegt, ist der Anfragende auf eine in ihrer Art seltsame, nämlich auf Passivität beruhende Tätigkeit verwiesen: auf das Warten. Ich besitze eine Postkarte mit dem Konterfei Karl Valentins und dem Spruch des mit Kafka geistesverwandten Komikers: „Zuerst“, heißt es da, „wartete ich langsam, dann immer schneller.“ Da einem die Zeit davonläuft, muss man eben immer schneller warten. Und der Mann bei Kafka wartete und wartete, aber das kann ein Mensch ja nicht unbegrenzt, weil ihm der Tod immer näher und näher kommt. Als Sterbender hat der Mann in Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“ endlich eine Idee, mit welcher Frage er draufkommen könnte, wie ihm hier mitgespielt wird: „‚Alle streben doch nach dem Gesetz‘, sagt der Mann, ‚wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?‘ Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: ‚Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.‘“ […]

 

Regal

Regal lautet der Titel dieser Arbeit, die Nita Tandons Beitrag zu einer von ihr kuratierten Gruppenausstellung war, die im Untergeschoß ihres Ateliers stattfand. Die Unzugänglichkeit von Raum und
zur Arbeit benötigtem Material während der Vorbereitungsphase und der gesamten Dauer der Ausstellung wurde zum Gegenstand dieser Arbeit. Tandon verstaute die Materialien, mit denen sie gearbeitet hatte, zusammen mit den unfertigen Werken in einem großen Regal, das im Ausstellungsraum eingebaut war, sodass das Kunstwerk und die Voraussetzungen für seine Produktion, Aufbewahrung und Archivierung in einem Objekt vereint waren.

Air Craft

Das Ausgraben des Rasenbettes schafft Raum für eine luftgefüllte Fläche, deren gewellte, samtige Oberfläche einen Körper erahnen lässt. Ein Ausschnitt aus seiner riesigen, barocken Parkfläche hebt den Bildkörper aus seinem Schutz heraus und stellt ihn aus. Je nach Betrachtungspunkt und Distanz wird der einladende Körper dieses „Betts“ auf einen Strich reduziert oder zeigt fernab des schützenden Innenraums seine Nacktheit. Durch das Betreten von Air Craft wird der sichere Boden des Rasenbettes entzogen.

Within and Without

 

Exzerpt aus „As idle as a painted ship…“ von Edith Futscher im Katalog Dimensions of a Surface:

Räumlich angeordnet zu einem nach oben hin offenen Schacht und in weißem Resopal, Within and Without, mag der Eindruck eines abgesperrten Raumes, einer verunmöglichten Bewegung entstehen – als gälte es, noch die Existenz etwa eines Zimmers zu verbergen. Da wie dort aber haben wir den Innenraum, der unsere Neugier weckt, längst betreten: Denn dieser Raum ist gestülpt in den Innenraum als Außenraum, in dem wir uns befinden.

Departure of the fleet

Exzerpt aus dem Text:

AS IDLE AS A PAINTED SHIP …
Bewegung und deren Negation
bei Nita Tandon

von Edith Futscher aus dem Katalog Dimensions of the Surface

[…] in Departure of the Fleet (2006, S. 140/141), kommt Bewegung zu ihrem Recht, und es verwundert nicht, dass mit dem Verweis auf William Turners gleichnamiges spätes Gemälde  auch hier eine teils unheilvolle Bewegung angedeutet wird, denn der Aufbruch Aeneas’ aus Karthago – auch er eine Art Odysseus wie Coleridges Seemann – bedeutete zugleich Didos Ende. Während Turner mehr die Abschied nehmende Dido, die Hafenausfahrt und einen goldenen Himmel über der See in den Blick nimmt als die Flotte, zeigt uns Nita Tandon Schiffe. In einem kleinen Plexiglaskasten hat sie mit Blau überzogene Gläser positioniert, in denen sich Teelichter befinden. Das Blau der Gläser ist teils ausgespart, und diese Aussparungen haben die Form von Segelschiffen.
Im abgedunkelten Raum betrachtet, bringt das Kerzenlicht eine Bewegung, ein bewegtes Bild jenseits des Films hervor, ein Flackern und Schaukeln, am oberen Rand bilden sich schwer hängende ‚Wolken‘. Die Flotte kommt in Gang, wir sehen die Schiffchen hintereinander taumeln, die einen scharf gezeichnet, die anderen in Unschärfe verschwimmend. Es interessiert also die Suggestion eines Szenischen, die Atmosphäre, die Verteilung von Licht und Farbe, die transformierende Kraft des Feuers. Und es interessiert Nita Tandon die Art, wie Michel Serres Turner zu verstehen gibt, als Materialisten, als einen, der die Materie seiner Zeit, in der Dampfschiffe das Segelschiff hinter sich ließen, ins Bild rückte: „Turner oder die Einführung der entzündeten Materie in die Kultur.
Das erste wahrhafte Genie der Thermodynamik.“ 12 Dieses Feuer erfasst die Elemente, vor allem das Wasser als Gegenspieler, auch das Bild, es erfasst Zeichnung, Form, Darstellung – das Bild werde bei Turner selbst zum „Schmelzofen“. 13 Die Historie um Dido und Aeneas ist in Nita Tandons Departure of the Fleet verschwunden – und wohl auch das Verstehen des Segelschiffes als Signum einer bereits vergangenen Epoche. Die Hommage gilt weniger dem gleichnamigen Gemälde als der Beständigkeit Turners, Segelschiffe, vorbeiziehende Regatten gleich wie Wetterlagen in den Blick zu rücken, die einerseits dem Feuer nicht standhalten können und konnten, andererseits eine Herausforderung für einen Blick darstellen, der festhalten will.
Auch in Departure of the Fleet erkundet Nita Tandon ein Bild, das Bild. In Experimenten mit unterschiedlichsten Materialien, mit Beton, Plastilin, Schrift, Feuer ist es ihr gleichwohl um eine Klasse von Objekten zu tun: In der Zusammenschau bilden ihre Arbeiten einen Raum für die immer aktuelle Frage danach, was ein Bild sei; ein Begriff im Singular, eine Frage, die immer wieder gestellt, die wiederholt wird und derart viele Antworten hervorbringt.


12 Michel Serres, Über Malerei. Vermeer – La Tour – Turner, übersetzt v. Michael Bischoff, Dresden, Basel 1995, S. 94. Serres’ Kronzeuge ist Turners The Fighting Temeraire Tugged to her Last Berth to be Broken up, 1838, London, National Gallery.
13 Ebd., S. 107.

Human Resource or Zoran and Goran

Human Resource or Zoran and Goran (Menschliche Arbeitskraft oder Zoran und Goran) ist eine performative Skulptur, die für die Ausstellung North-West by South-East entwickelt wurde. Zwei Männer, aufgelesen auf dem Arbeiterstrich von Skopje, wurden dazu angestellt, Luft in eine aufblasbare Matratze zu pumpen, wobei der eine Luft in die Matratze, der andere aber gleichzeitig aus der Matratze pumpt. So führte die anstrengende Arbeit niemals zu dem Ergebnis einer prall aufgepumpten Matratze, sondern der Befüllungsgrad blieb immer gleich. Die Betätigung der Pumpen erzeugte permanent Geräusche, die die Vergeblichkeit der Arbeit noch unterstrichen. Die beiden Arbeiter bekamen den üblichen Stundenlohn für in Wien geleistete Schwarzarbeit.