Franz Schuh

Exzerpt aus dem Vorwort im Katalog Dimensions of the Surface:

Dimensionen: Assoziationen zum Werk von Nita Tandon

[…] In der bildenden Kunst stecken wörtlich das Bild und das Bilden. „Bilde, Künstler! Rede nicht!“ So lautet Goethes Kommando an die DichterInnen, das man auch schlicht als Anleitung verstehen kann, mit der Sprache, dem Material der Dichtkunst, angemessen, also auf keinen Fall opulent umzugehen. In diesem Sinne ist das Spröde der Arbeiten Nita Tandons ein Qualitätsmerkmal: Ihre Arbeiten bieten sich durch keine Pracht und auch durch keine Gags den BetrachterInnen an. Das alte Wort „bilden“ meint die künstlerische Arbeit, das Hervorbringen eines Artefakts, und Tandons Art des Hervorbringens ist geplant und konstruktiv, also nicht intuitiv oder im trivialen Sinne „künstlerisch“, nämlich bewusst unkontrolliert. Man kann an diesen Arbeiten auch die Frage erkennen, welche Rolle der Gedanke in der künstlerischen Arbeit hat, ob er zum Beispiel vor dem Kunstgegenstand da ist oder ob er sich erst an dessen Existenz zeigt und herausbildet. Es hat mit dem Denken zu tun, dass Nita Tandon, die auf der Angewandten Schülerin von Maria Lassnig war, beschloss, keine Bilder zu malen – kein Bild, das „etwas“ darstellt. Die Wende weg vom Mimetischen ist bei Tandon gut durchdacht, und sie hat auch die schon besprochene Folge: Wenn nicht Bild, dann auch nicht Farbe, nichts von ihrer Hand Gemaltes. Die Farbe kommt vom Material, ist also nicht von der Künstlerin aufgetragen.

Das ist die Lehre, die bildende Kunst ja überhaupt erteilt: Für die bildende Kunst ist die Oberfläche wesentlich, und die von der Oberfläche inspirierte Metapher der „Oberflächlichkeit“ wird von der bildenden Kunst Lügen gestraft. Im Sinne der „Dimensionen der Oberfläche“ geht es im Werk Nita Tandons nicht zuletzt um die Frage: Was macht ein Bild zum Bild, wie definiert es sich selbst im Raum, von dem es sich absetzt, mit dem es aber auch kooperieren muss, um überhaupt als Bild gesehen zu werden? Solche Fragen sind nicht akademisch, sondern sie sind in unserer Wahrnehmung angelegt, und wenn ich die Kunst Nita Tandons sehe, habe ich eine doppelte Kunsterfahrung: einerseits durch Tandons Distanzierung der Unmittelbarkeit, mit der sie es nicht zulässt, „das Bild“ in seinem Funktionieren einfach vorauszusetzen; andererseits entsteht durch diese Distanzierung eine neue Art von Unmittelbarkeit, die mich als Betrachter fesselt und erfreut.