Departure of the fleet

Beton, Plexiglas, 8 Teelichter, Gläser
30 x 50 x 20 cm
2006

Exzerpt aus dem Text:

AS IDLE AS A PAINTED SHIP …
Bewegung und deren Negation
bei Nita Tandon

von Edith Futscher aus dem Katalog Dimensions of the Surface

[…] in Departure of the Fleet (2006, S. 140/141), kommt Bewegung zu ihrem Recht, und es verwundert nicht, dass mit dem Verweis auf William Turners gleichnamiges spätes Gemälde  auch hier eine teils unheilvolle Bewegung angedeutet wird, denn der Aufbruch Aeneas’ aus Karthago – auch er eine Art Odysseus wie Coleridges Seemann – bedeutete zugleich Didos Ende. Während Turner mehr die Abschied nehmende Dido, die Hafenausfahrt und einen goldenen Himmel über der See in den Blick nimmt als die Flotte, zeigt uns Nita Tandon Schiffe. In einem kleinen Plexiglaskasten hat sie mit Blau überzogene Gläser positioniert, in denen sich Teelichter befinden. Das Blau der Gläser ist teils ausgespart, und diese Aussparungen haben die Form von Segelschiffen.
Im abgedunkelten Raum betrachtet, bringt das Kerzenlicht eine Bewegung, ein bewegtes Bild jenseits des Films hervor, ein Flackern und Schaukeln, am oberen Rand bilden sich schwer hängende ‚Wolken‘. Die Flotte kommt in Gang, wir sehen die Schiffchen hintereinander taumeln, die einen scharf gezeichnet, die anderen in Unschärfe verschwimmend. Es interessiert also die Suggestion eines Szenischen, die Atmosphäre, die Verteilung von Licht und Farbe, die transformierende Kraft des Feuers. Und es interessiert Nita Tandon die Art, wie Michel Serres Turner zu verstehen gibt, als Materialisten, als einen, der die Materie seiner Zeit, in der Dampfschiffe das Segelschiff hinter sich ließen, ins Bild rückte: „Turner oder die Einführung der entzündeten Materie in die Kultur.
Das erste wahrhafte Genie der Thermodynamik.“ 12 Dieses Feuer erfasst die Elemente, vor allem das Wasser als Gegenspieler, auch das Bild, es erfasst Zeichnung, Form, Darstellung – das Bild werde bei Turner selbst zum „Schmelzofen“. 13 Die Historie um Dido und Aeneas ist in Nita Tandons Departure of the Fleet verschwunden – und wohl auch das Verstehen des Segelschiffes als Signum einer bereits vergangenen Epoche. Die Hommage gilt weniger dem gleichnamigen Gemälde als der Beständigkeit Turners, Segelschiffe, vorbeiziehende Regatten gleich wie Wetterlagen in den Blick zu rücken, die einerseits dem Feuer nicht standhalten können und konnten, andererseits eine Herausforderung für einen Blick darstellen, der festhalten will.
Auch in Departure of the Fleet erkundet Nita Tandon ein Bild, das Bild. In Experimenten mit unterschiedlichsten Materialien, mit Beton, Plastilin, Schrift, Feuer ist es ihr gleichwohl um eine Klasse von Objekten zu tun: In der Zusammenschau bilden ihre Arbeiten einen Raum für die immer aktuelle Frage danach, was ein Bild sei; ein Begriff im Singular, eine Frage, die immer wieder gestellt, die wiederholt wird und derart viele Antworten hervorbringt.


12 Michel Serres, Über Malerei. Vermeer – La Tour – Turner, übersetzt v. Michael Bischoff, Dresden, Basel 1995, S. 94. Serres’ Kronzeuge ist Turners The Fighting Temeraire Tugged to her Last Berth to be Broken up, 1838, London, National Gallery.
13 Ebd., S. 107.