Standardwerk


Farbe bekennen – In Nita Tandons Werkstatt
Edith Futscher

In drei großen, in sich unterteilten Tafeln gibt Nita Tandon in Standardwerk I-III (2016) ein- und dasselbe Gebilde in unterschiedlichen Ausfertigungen zu sehen. Referent ist ein einst alltäglicher Küchenhelfer, ein händisch zu bedienender Fleischwolf, dessen Markenname allen drei Arbeiten ihren Titel geliehen hat. Die überraschend prominent, monumental in Szene gesetzte kleine Apparatur, die sich bequem mittels Spanneisen an einer Arbeitsfläche montieren lässt, wird aber eigentlich weder gezeigt noch wird sie verwandelt – keine Pop-künstlerischen oder surrealistischen Anklänge sind zu vernehmen. Verfremdet lediglich durch die Aufmerksamkeit eines nahen Blicks, dreifach übertragen in großes Format, wird in erster Linie ein Transfer von digitaler Projektion in Körperlich-Plastisches vorgestellt und damit ein Farb-Experiment ausgeführt. Es ist eine Übersetzung einer digital aufgenommenen und in dürftiger Auflösung projizierten Fotografie in die Welt der handhabbaren Bilder, jener Dinge also, die angeschaut werden wollen – dies mit der Besonderheit, dass die Arbeiten weitgehend ohne Nostalgie auskommen. Die Produkte der Transferleistung können als fotografisch-theoretische Objekte, durchaus im Sinne Rosalind Krauss’ verstanden werden: Ohne Foto zu sein, fordern die Bildtafeln über das spezifische Herstellungsverfahren auf, über Optik, Licht und Farbe nachzudenken, und eröffnen gleichzeitig einen ästhetischen Diskurs-Raum um Fotografie, innerhalb dessen malerische oder allgemeiner bildnerische Praxen mitangesprochen werden.[1]

Diese Bildwerdung als Umwandlung, der Wechsel des Bildvehikels[2] ist ein komplexes und äußerst arbeitsaufwändiges Verfahren, das die einfache mechanische Bearbeitung organischen Materials durch den Fleischwolf – Zerstückelung der massigen Form im Dienste der Formbarkeit – gewissermaßen konterkariert: Ausgehend von der „verpixelten“ projizierten Aufnahme wurde das Raster abgenommen, der Farbwert der einzelnen Pixel, im Bereich des Bildobjekts jeden einzelnen Pixels,[3] in unterschiedlichen Farbsystemen festgestellt bzw. zur „Darstellung“ gebracht, die zunächst Zahlenkombination ist – ein und dieselbe Pixelansammlung wurde zum einen im additiv aufgebauten System Rot-Grün-Blau (RGB), das bei Bildschirmen Verwendung findet, erfasst, zum anderen in das subtraktive System Cyan-Magenta-Yellow-Key (CMYK), das im Digitaldruck zum Einsatz kommt, übertragen, was nicht ohne Verluste möglich ist. Zum Dritten war die Basis der anschließenden Farbgebung im Material Plastilin die eigene Wahrnehmung, also das individuelle Vermögen, Nuancen zu unterscheiden. Ist man mit Farbsystemen nicht vertraut, erscheint die Sache verhext zu sein: Werden die prozentualen Farbanteile in Knetmasse übertragen, ergibt sich eine Umkehr von Hellem zu Dunklem zwischen CMYK und RGB, da das eine System mit papierenem Untergrund rechnet, das andere mit dem Erstrahlen des Bildes etwa am Monitor. Das ganze lapidare Bild wurde also in einzelne Bestandteile der visuellen Information zerlegt, in seiner Farbzusammensetzung erfasst, das Raster, bestehend aus einzelnen Pixeln, musste codiert werden, um dann die einzelnen Farbwerte in handelsüblichem Plastilin, mit und ohne Zugabe von Pigmenten rekonstruieren, sprich manuell knetend mischen zu können – der Fleischwolf kam dabei, im Durcharbeiten des Materials auch als Produktionsmittel zum Einsatz, die einheitliche Durchfärbung der einzelnen Partikel verdankt sich aber der Hand. Der Weg vom Ding-Bild zum Bild-Ding mündete im Andrücken kleiner farblich abgestufter Plastilin-Kügelchen auf Glasplatten als Träger, unter die Ausschnitte des codierten Rasters gelegt werden konnten. Man könnte also von einer Hinter-Glas-Praxis als Druckverfahren sprechen, mit seitenverkehrtem Ergebnis, von einem plastischen Arbeiten im Dienste eines Bildes, oder: von gekneteten Bildpunkten, die eine seltsam verschobene Indexikalität mit ins Spiel um Fotografie bringen.

Dass jeweils eine Tafel nicht nur durch die Pixel gerastert ist, sondern auch in zwanzig Kompartimente, Bildfelder geteilt ist, auf zwanzig Glasplatten gefertigt wurde, war eine Vorsichtsmaßnahme im langwierigen Arbeitsprozess, erhöht aber jedenfalls den Reiz der Struktur durch unterschiedliche Teilungen des Bildes, Raster im Raster. Es sind dies grids, die keineswegs im Dienste eines autonomen Raumgefüges stehen, eines Raumes der Kunst, der „sich selbst zum Zweck hat“, der gegen Erzählung, Natur und Nachahmung gewendet wird und sich separiert, wie dies Krauss 1978 für die Moderne formuliert hat.[4] Es wird vielmehr mimetisches Erfassen durch Vergrößerung, Gitterstruktur, Codierung und Übertragung derart weit getrieben, dass Wiedererkennbarkeit und der Bezug zum „eigentlichen“ Ding auf der Strecke bleiben, gewissermaßen überholt werden. So gesehen haben wir es mit einem selbstzweckhaften Verfahren zu tun, mit einem Unterfangen, das den Relationen zwischen Abbildungen gilt, wobei das Abgebildete aufs Spiel gesetzt, nicht aber verbannt wird. Denn das Ding, wiewohl mächtig, ist kaum mehr entzifferbar, der Referent wird nur vage als Apparatur mit Kurbel wahrgenommen.

Darüber hinaus würdigt Standardwerk, gleich wie andere Arbeiten Nita Tandons in diesem höchst originären Verfahren, das demjenigen von Chuck Close weit weniger verwandt ist, als es scheinen mag, systematische Untersuchungen im Bereich der Farbe: Mit Josef Albers Farbenlehre, seiner Malerei als „Sehschule“ auf Basis einfacher Formen, farblich reich nuanciert, verbindet sie darüber hinaus die Neugier in Bezug auf Werkstoffe – bei Albers etwa Glas, in früheren Arbeiten Tandons auch Beton –, das Hochhalten des Handwerklichen, vielleicht auch die gewisse Distanz zum untersuchten Gegenstand oder Phänomen und ein weitgehendes Verschließen des künstlerischen Projektes gegenüber Turbulenzen im Lebensverlauf. Sie teilt jedenfalls das Interesse an Geordnetem, an sorgfältiger Vorbereitung und präziser Umsetzung. Im Gegensatz zum „Missionar im Dienste der Farbe“,[5] des Lichts, ist es ihr aber weder um eine Beschränkung zu tun noch um unterschiedliche Farbwirkungen, um die Beeinflussung durch Benachbartes, die verwirrende Unterschiedlichkeit der Ergebnisse hat in der digitalen Aufnahme einen anderen Ausgangspunkt, das Experiment nimmt seinen Lauf in Richtung Übertragbarkeit. Sie scheint darin den Rat, den Albers seinen Studierenden häufig gegeben haben soll, beherzigt zu haben: „Seid keine Trittbrettfahrer. Setzt Euch auf Euren eigenen Hosenboden.“[6]
Abschließend soll noch kurz die Frage der Produktion beschäftigen und damit die Frage nach dem Teilen von Arbeit, nicht der Teilung. Denn Standardwerk konterkariert auch im betriebenen Aufwand gängige fotografische Praxen – Langsamkeit und Dauer der Herstellung der drei Einzelstücke tragen zum Werk-Charakter bei. Es macht im Übrigen Sinn, diese zusammen zu präsentieren, so, wie es Sinn macht, mehr als eine Homage to the Square zu zeigen. Der Herstellungsprozess aller drei Tafeln hätte, so Nita Tandon, ungefähr eineinhalb Jahre gedauert, die Produktion eines Segmentes im Format A3 verschlang nahezu eine Woche Vollzeitarbeit. Es wurde deshalb arbeitsteilig in einem kleinen Team über einen Zeitraum von vier Monaten an Tabellen gearbeitet, gemischt, geknetet und gedruckt – es kam das organisatorische Produktionsmittel der Kooperation, wenn auch einer kurzfristigen, zum Einsatz. Die vorwiegend handwerkliche Arbeit, deren Dimensionen von Planung, Abwägung der Möglichkeiten, Entwickeln, Erproben, Revidieren und Weiterentwickeln der geeigneten Strategien und Fertigkeiten häufig unter- und in der Bezeichnung „Herstellung“ oder „Ausführung“ auch eingeschlagen werden, wurde als Lohnarbeit durchgeführt, eine Form des Miteinander-Tuns im Rahmen auktorialer Produktion, für die eine Routine erst zu finden war. Keine ausgelagerte oder delegierte Produktion also, sondern eine gemeinsame Umsetzung mit Projekt-Charakter, die an vor-moderne Werkstattpraxen erinnern mag, in denen auch zugearbeitet wurde.[7] KünstlerIn und mitunter ArbeitgeberIn, mitunter ArbeitnehmerIn zu sein, wird längst nicht mehr als Widerspruch wahrgenommen,[8] Autorschaft wird weniger hitzig diskutiert als in den 1970er-Jahren, ist vielgestaltig geworden und hat sich aus der Opposition von entweder Einzelner/m oder Gruppe gelöst. Hinzu kommt freilich, dass auch kurzfristige Lohnarbeit stärker gesucht und insbesondere Arbeitszeit verschlingende Formen einer Produktion von Dingen, die nicht Gefahr laufen, überschüssig zu sein, breitere Wertschätzung erfahren. Vor allem der Zusammenarbeit in der Werkstatt, wie sie in Hinblick auf Standardwerk gepflegt wurde, kann hoffnungsfroh ein Gemeinschaft unterstützendes Moment zugedacht werden, selbst dann, wenn Entscheidungshoheit unangetastet bleibt: Richard Sennett hat beschrieben, wie Kollegenschaft gerade in ihren physischen Dimensionen, wie das Mit- und auch Nebeneinander-Arbeiten im Dienste des Herstellens, Aufrechterhaltens und nicht zu vernachlässigend auch des Reparierens über Rhythmisierung, Habitualisierung, Revidierung den sozialen Zusammenhalt, ein dialogisches Sozialverhalten fördern. Das Finden und Reflektieren von Positionen und Rollen, das Umgestalten auch von Verhaltensweisen und profanen Ritualen, ein möglichst produktiver Umgang mit Konkurrenz können über informelle Gesten und Bewegungen als Verkörperungen sozialer Bezüge, die Strukturierung des Arbeitsraumes, die Suche nach dem geeigneten Umgang mit Widerständen der Materie gestärkt werden. Vor allem dort, wo Raum für Improvisation gegeben ist und Aufgaben nicht bis ins Letzte vordefiniert sind, kann in technischer und sozialer Hinsicht experimentiert, können neue Kooperationsformen angeregt werden.[9] — Es darf dies nicht nur für die hier beschriebene Werkstatt-Praxis, sondern durchaus auch für das gemeinsame Herstellen von Ausstellungen, Katalogen, Büchern, für das Aufbauen und Betreuen von Sammlungen geltend gemacht werden.

Edith Futscher, Kunsthistorikerin. Senior Scientist an der Universität für angewandte Kunst, zuvor Elise-Richter-Stelleninhaberin des FWF, Universitätsassistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und der Technischen Universität Wien. Mitherausgeberin des Journals „FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur“.

[1] Vgl. Rosalind Krauss (1998): Die diskursiven Räume der Photographie, in: Dies.: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München, 40-58. Ebenso das Vorwort von Hubert Damisch zu diesem Band, 7-13.

[2] Zu den Bezeichnung „Bildvehikel“ und im Folgenden „Bildobjekt“ vgl.: Wolfram Pichler, Ralph Ubl (2014): Bildtheorie zur Einführung, Hamburg, 20-42.

[3] Gegen die Ränder hin nimmt die Dichte der Information ab, es wurde mit Weiß und unterschiedlichen Grauwerten gefüllt.

[4] Rosalind E. Krauss (2000): Raster, in: Dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/Dresden, 51-66, hier 52.

[5] Nicholas Fox Weber (1988): Der Künstler als Alchimist, in: Ausst.-Kat. Josef Albers. Eine Retrospektive (Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden und Bauhaus-Archiv Berlin, 1988), Köln, 14-48, hier 35.

[6] Fox Weber (1988), 46.

[7] Für ein Delegieren von Arbeit wäre zum Beispiel an Alighiero Boetti zu denken, der seine gestickten Arbeiten in den 1970er-Jahren von afghanischen Frauen anfertigen ließ. Für eine Umsetzung mit Projekt-Charakter, die als solche auch stark kritisiert wurde, wäre an Judy Chicagos Dinner Party von 1979 zu denken. Beanstandet wurde das Beharren auf Entscheidungshoheit im Rahmen traditioneller Autorschaft anstelle von Kollektivität, die im Zuge einer Arbeit, die auf Vergessen gemachte weibliche Produktivität zielt, hätte angelegen sein sollen: Vgl. Amelia Jones (2005): The „Sexual Politics“ of the Dinner Party. A Critical Context, in: Norma Broude, Mary D. Garrard (Hg.): Reclaiming Female Agency: Feminist Art History after Postmodernism, Berkeley, 409-433, hier 424-425. Amelia Jones diskutiert die kontroversielle Rezeption und den Kontext der Arbeit.

[8] Zur Vielfalt aktueller Rollenverständnisse vgl. die Aufsätze von Beatrice von Bismarck und Rachel Mader, in: Sabine Fastert, Alexis Joachimides, Verena Krieger (Hg.) (2011): Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung, Köln/Weimar/Wien, 147-153 und 205-215.

[9] Vgl. das Kapitel „Die Werkstatt. Herstellen und Reparieren“, in: Richard Sennett (2012): Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält, Berlin, 267-295.

Aus: Bernadette Reinhold, Eva Kernbauer (Hg.), Zwischenräume, Zwischentöne. Wiener Moderne – Gegenwartskunst – Sammlungspraxis. Festschrift für Patrick Werkner, Berlin: De Gruyter, 2018, S. 84–89.